Der Vatikan öffnet sein „Geheimarchiv“1. März 2012
Und Tagesschau.de den Raum für spannende SpekulationenDer Vatikan möchte nach und nach seine Bestände aus dem Privatarchiv des Papstes, das fälschlicherweise auch als „Geheimarchiv“ bezeichnet wird, aber eben weniger geheim als vielmehr privat ist, einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen.
Bei den Interessen ist interessant, welche hier medial in den Vordergrund gestellt werden. Auch, wenn klar ist, dass sich das wissenschaftliche Interesse in Grenzen hält, das Interesse, „belastendes“ Material aufzufinden, aber für gewöhnlich unbegrenzt ist, wenn es um Kirche, Papst und so geht, scheint mir einiges doch erwähnenswert an der einschlägigen
Berichterstattung auf Tagesschau.de.
Da liest man etwa den beiläufig fallengelassenen Satz: „Im Jahre 1880 öffnete der Vatikan sein Geheimarchiv Wissenschaftlern aus der ganzen Welt gleich welcher Nation oder Konfession.“ Ups: „Geheimarchiv seit 132 Jahren offen“! Und trotzdem „geheim“? Weil man nur Menschen mit nachweislichem Forscher-Interesse an die Bestände lässt und nicht Busladungen von Touristen?
Für die scheint sich der Besuch der Ausstellung
Lux in Arcana ohnehin nicht zu lohnen, denn: „Mittelalterliche Ketzerprozesse oder Bannbullen sind heutzutage keine großen Aufreger mehr.“ Geht es jetzt
darum? Um „Aufregung“? Also gar nicht mal um historische Wissenschaft, die seriöse Quellenforschung betreiben will? Sondern um Sensationsgier? Ach! Bei aller Notwendigkeit, auf
Tagesschau.de ein Massenpublikum anzusprechen, ist das doch etwas sehr unverblümt. Sollte man nicht wenigsten
so tun, als ginge es um die historische Wahrheit, zutage gefördert durch die Geschichtswissenschaft, die sich zu den Quellen begibt?
Der weitere Verlauf der Darstellung gibt eine Antwort: „Spannender ist die jüngste Vergangenheit. Papst Benedikt XVI. kündigt an, in wenigen Jahren die Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu öffnen – das betrifft das Pontifikat Pius XII.“ Ah… endlich! Zwar geht es hier gar nicht mehr um die derzeit laufende Ausstellung, aber was soll’s. An solche zielgerichteten Themenschwenke ist man in der Berichterstattung über die Kirche ja gewöhnt. Also: Endlich kommen wir zu der Frage, die wirklich „spannend“ ist: „Was hat dieser Papst gegen den Massenmord an den Juden unternommen?“ Der über Jahrzehnte durch fiktive Erzählungen und phantasiereiche Theaterstücke ganz gezielt aufgeklärte Zeitgeist antwortet im Stillen: „Nichts.“ Denn schließlich hat ihm ja niemand bedeutet, dass Theaterstücke wie „
Der Stellvertreter“ Theaterstücke sind und wenn sie verfilmt werden, eben Spielfilme, aber keine Dokumentationen, die auf historischen Forschungsarbeiten beruhen.
Bleibt allerdings die Frage, aus welchem Holz die Hochhuths dieser Welt ihre Suggestiv-Balladen drechselten, wo doch „die Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs“, also eben jene „die das Pontifikat Pius XII. betreffen“, erst „in wenigen Jahren“ geöffnet werden und dann – Potzblitz! – aus der Bestie Pius einen nachdenklichen, besorgten und alle vernünftigen Wege beschreitenden Menschen machen werden, der sich mit Klugheit, Umsicht und Mut an die Seite der Verfolgten stellte. Bischof Sergio Pagan, Leiter des päpstlichen Privatarchivs, verrät schon jetzt: „Viele dieser Dokumente bestätigen die humanitären und religiösen Hilfen, die Pius XII. den Juden geleistet hat. Es gibt mehr als 1000 Dankbriefe an den Papst.“
„Dankbriefe? Von wem? Hitler? Himmler? Goebbels?“ – Es bleibt spannend! Und unglaublich geheimnisvoll.
(Josef Bordat)